Intensivpatienten und ihre Angehörigen haben derzeit einen enormen ungedeckten Beratungsbedarf. Hierdurch kommt es nicht selten zu Konflikten um die weitere Therapie. Ursachen sind in den meisten Fällen unzureichende Gespräche mit den behandelnden Ärzten. Eine Zweitmeinungsberatung durch einen unabhängigen Arzt führt einerseits zu Verständnis der Maßnahmen und damit zu einem Sicherheitsgefühl. Auf der anderen Seite gibt es erstmals eine Hilfe gegen unnütze oder ungewollte Medizin, die Patienten und ihre Angehörigen schädigt. Hier spricht man von Übertherapie, die heute leider einen Großteil intensivmedizinischer Leistungen betrifft.
Intensivmedizin breitet sich rasant aus, auch auf Patientengruppen die davon nicht profitieren. Mittlerweile sind 75% der Intensivpatienten im Rentenalter, in jedem 4. Intensivbett liegt ein unheilbar Krebsbetroffener.[1] Auch die Anzahl der in der Häuslichkeit intensivmedizinisch behandelten Patienten steigt dramatisch. Diese lag 2003 bei 500 in ganz Deutschland, heute liegt die Zahl mit wahrscheinlich fast 30.000 ca. 50 Mal höher. Vorausgegangen war die neue Regelung einer Vergütung mit 20.000 - 27.000 € pro Monat.
In den Kliniken gibt es ähnliche Fehlanreize: Die kleine Gruppe der Langlieger (8%, länger als 20 Tage) generiert dabei einen Großteil der Einnahmen.[2] So fahren Kliniken die größten Gewinne ein, die viele Komplikationen haben, die Patienten mit den schlechtesten Aussichten operieren, die vielfacherkrankte greise Patienten umfangreich versorgen.
Sprich: extrem schlechte Medizin wird aktuell am besten vergütet.
Im Februar 2018 gab es den ersten europäischen Großkongress in Wien zur Problematik, die Experten schätzen den Anteil der Übertherapie auf 50%, „Übertherapie und Überdiagnostik seien tägliche Realität auf den meisten Intensivstationen.“ [3] Auf dem deutschen Intensivkongress (DIVI, 06.12.2018) sprach Prof. Borasio - Europas bekanntester Palliativmediziner zum Thema: Fehlanreize im Gesundheitssystem sind das Hauptproblem für Übertherapie auf Intensivstationen.
Die Problematik beginnt bereits mit nicht notwendigen Intensivaufnahmen. Studien sprechen von bis zu 50% Fehlaufnahmen.[4] Unnötige Intensivaufnahmen führen zu 18% mehr Todesfällen.[5] Ohne erkennbares Therapieziel wird ein erschreckend hoher Prozentsatz selbst von schwerst Demenzbetroffenen intensivbehandelt und künstlich beatmet.[6]
Immer ältere und kränkere Patienten werden langzeitbeatmet. Dabei gibt es die Besonderheit in der Gebührenordnung, dass Beatmungen bis 24 Stunden nicht vergütet werden. Wird jedoch eine Minute länger beatmet, können bei bestimmten Diagnosen 23.426 € und mehr berechnet werden.[7] Beatmung ist gefährlich, daher gilt: je kürzer desto besser.
Über diese unter Ärzten auch „Beatmungshürde“ genannte 24. Stunde hinaus gibt es auffallende Häufungen. Tausende Patienten werden abrechnungsoptimiert länger beatmet. Die rote Kurve legt sogar nahe, dass Hunderte verstorbene Patienten noch über diese Stunde hinaus beatmet wurden.
Dabei ist längst bekannt, dass etwa 55% der älteren Patienten nach einer über 10 Tage langen Beatmung in naher Zeit versterben, von dem kleineren Teil der Überlebenden finden nur 12% zurück in ihr altes Leben. Dramatisch ist so die Zunahme von schwer geistig Behinderten oder Wachkomapatienten nach Intensivtherapie. So ist mittlerweile Standard bei bestimmten Schlaganfällen oder Hirnverletzungen Teile des Schädeldaches zu entfernen. Das Deutsche Ärzteblatt titelte zu der Operation: „Sterblichkeit halbiert“. Doch liest man die Originalstudie, so kommt einem das Schaudern: Richtig, die Sterblichkeit wurde durch die Notoperation von 48 auf 26% nahezu halbiert. Doch gegenüber den Nichtoperierten kam es dreimal häufiger zum bleibenden Wachkoma. Die Wahrscheinlichkeit zur Rückkehr in das alte Leben war dagegen in der Gruppe der Nichtoperierten um 42% höher.[8] Die OP sorgt also für weniger gesund Überlebende und für dramatisch mehr Schwerstpflegefälle.
Doch genau vor solchen Eingriffen fürchten sich ältere Menschen. 91% von Ihnen würden einen Eingriff mit dem Risiko geistiger Behinderungen ablehnen. „Lieber Tod als schwerbehindert dahinvegetieren“ sagen fast alle.[9] Ganz anders sehen dies deutsche Hirnchirurgen in einer Arbeit aus 2018: 85% würden einen 82 jährigen bei Hirnblutung, trotz schlechtester Aussichten (Überleben 9%, Schwerbehinderung 98% trotz OP) operieren. Mehrheitlich war den Ärzten egal, ob die Patienten vorher bereits schwerpflegebedürftig waren oder was die Angehörigen wünschten.[10] Dies spiegelt sich auch in der Versorgungsrealität wieder: Nur bei 4% der beatmeten Intensivpatienten fand eine Willensermittlung statt – es müssten 100% sein. [11]
Eine unangemessen eingreifende Therapie hat schlimme Folgen.[12] Viele Venenkatheter, blutige Messungen, Bluttransfusionen[13], Beatmungen und Luftröhrenschnitte sind vermeidbar. Bestens erforscht sind die tragischen Konsequenzen von zu viel Beruhigungsmitteln: Ernste Verwirrungszustände, verlängerte Beatmung, Infektionen und Muskel-Nervenleiden sind die Folgen, die Sterblichkeit steigt. Unnötige oder zu lang dauernde Antibiotikagaben verursachen nicht nur Kosten, sondern führen zu Problemkeimen (MRSA-Seuche), teils mit unbehandelbarer Blutvergiftung. Intensivbehandlung ist leidvoll, häufig sind Schmerzen, Schlaflosigkeit, diverse Sonden, fehlende Selbstkontrolle und Fixierung.[14] Überlebende haben im Anschluss häufig posttraumatische Streßsyndrome, welche ansonsten eher von Kriegs- und Terroropfern bekannt ist.[15]
Nicht zu vergessen ist das Leiden der Angehörigen. Ein erschreckend hoher Anteil von ihnen leidet an Psychosyndromen.[16]
Die öffentliche Aufmerksamkeit zur Problematik steigt, das Buch[17] des Autors „Patient ohne Verfügung“ war ein halbes Jahr auf der Bestsellerliste, kaum eine Woche vergeht ohne entsprechende Medienberichte. Hier setzt das Projekt Zweitmeinungsberatung an.
Intensivtherapie ist nur erlaubt, wenn 2 Bedingungen erfüllt sind:
- 1. Durch sie muss ein Therapieziel im Sinne des Patienten erreicht werden.
- 2. Der Patient oder sein Vertreter muss ihr zustimmen
Fehlt eine Bedingung, macht sich der Arzt außerhalb akuter Notfallentscheidungen strafbar.
Und gerade das Therapieziel ist der entscheidende Punkt. Die allermeisten Menschen fürchten sich vor dauernden Behinderungen, vor langanhaltenden schmerzhaften Phasen, vor Ausgeliefertsein oder fortgeschrittenem Hirnabbauerkrankungen. Befragt man ältere Menschen, so lehnen fast alle (91%) Eingriffe ab, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu geistiger Behinderung führen. Bei ihnen kann also nach einer schwersten Hirnverletzung mit Dauerfolgen durch keine intensivmedizinische Maßnahme ein Therapieziel erreicht werden. Der Arzt darf sie mithin nicht ergreifen oder fortsetzen.
Es gibt aber auch einzelne Menschen, die möchten um jeden Preis leben, sozusagen „koste es was es wolle“. Diese würde man in der Situation weiter intensivmedizinisch behandeln müssen, oft liegen sie dann jahrzehntelang regungslos in leidvoller Intensivversorgung.
Und nun kommt das Problem: Die meisten Ärzte kennen diese erste Bedingung nicht richtig und sehen es als ihre Pflicht an, in jeder Situation das Leben zu verlängern. Bislang schützte einen hier nur eine lupenreine Patientenverfügung oder eben ein versierter Medizinrechtsanwalt in langen Prozessen. Hier sehen wir Verbesserungspotential und viel Unterstützungsbedarf.
In dieser Situation wollen wir Sie gerne unterstützen: